Interview mit dem Arzt und Chiropraktiker Prof. Dr. Martin Walz
Herr Prof. Dr. Walz, Sie haben Ihre Stelle als Chefarzt im Krankenhaus gegen Ihre Selbstständigkeit in Ihrer eigenen Chiropraxis eingetauscht. Was sind Ihre chiropraktischen Wurzeln und was hat Sie dazu bewogen, chiropraktisch zu arbeiten?
Ich habe 30 Jahre klinische Tätigkeit im Bereich Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie hinter mir, davon fast 15 Jahre an zwei Stellen als Chefarzt. Vor mittlerweile etwa acht Jahren hatte ich selber einmal eine Blockade im Bereich der Halswirbelsäule. Nach letztlich rund acht Wochen führte mich diese Blockade zu einer heilpraktisch tätigen Kollegin, die Chiropraktik anwendet. Sie hat mich insgesamt sechs Mal mit der Chiropraktik-Instrument-Technik (CIT) behandelt. Nach der dritten Behandlung gab es bereits eine deutliche Schmerzreduktion und Verbesserung der Beweglichkeit. Nach sechs Behandlungen war das ganze Problem gelöst. Ich habe sie dann gefragt, was sie an meinen Füßen testet und warum ich allerlei verschiedene Bewegungen machen muss. Da sagte sie: „Damit kann ich feststellen, auf welcher Höhe Subluxationen vorliegen.“ Nach 25-jähriger Kliniktätigkeit war das für mich etwas ganz Neues und es hat noch ungefähr ein Dreivierteljahr gedauert, bis ich den daraus entstandenen Entschluss umgesetzt und mein erstes Chiropraktik-Seminar besucht habe, nämlich CIT. Bereits nach dem ersten Kurstag war ich derart begeistert von dieser Art Diagnostik und Behandlung, dass ich diverse weitere Seminare, u.a. bei Chiropraktik Campus, besucht habe.
Parallel hat sich die Landschaft im Gesundheitswesen deutlich verändert, sodass in den letzten Jahren meiner Tätigkeit, bis Anfang 2015, aus meiner Sicht eine immer größere Inkongruenz auftrat zwischen meinen Vorstellungen von Patienten orientierter Medizin und dem, was von den Krankenhausverwaltungen angestrebt wurde und auch weiterhin angestrebt wird. Glücklicherweise habe ich schon zwei, drei Jahre zuvor gesagt: „Chiropraktik ist etwas Fantastisches“. Zu dem Zeitpunkt habe ich das noch auf sehr kleiner Flamme gekocht – ein bisschen nebenbei in der Klinik und im Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis –, mich dann aber relativ kurzfristig entschlossen, meine Kliniktätigkeit zu beenden, diesen Sprung ins kalte Wasser zu wagen und mich nur noch mit Chiropraktik zu beschäftigen. Diesen Schritt habe ich nach nunmehr fast vier Jahren noch an keinem einzigen Tag bereut. Mir geht es persönlich besser, auch gesundheitlich, ich bin ausgeglichener und das, was ich jetzt tue, entspricht wieder dem, was ich tun wollte: mit den Händen arbeiten – und zwar nicht an der PC-Tastatur im Chefarzt-Zimmer, sondern am Patienten. Und damit bin ich, wo ich hinwollte, und hoffe, dass ich das noch möglichst lange tun kann.
Prof. Dr. Walz, Sie sind als Dozent im Chiropraktik-Studium tätig – wie beurteilen Sie als Arzt und Chiropraktiker das gemeinsam mit der Donau-Universität Krems ins Leben gerufene Studium von Chiropraktik Campus?
Das Studium der Chiropraktik begrüße ich persönlich sehr. Ich habe ein klassisches Medizinstudium hinter mir und man merkt deutlich, dass die Chiropraktik – zum Teil aufgrund der Tatsache, dass es bisher kein Studium gab, und zum Teil aufgrund der Tatsache, dass bisher wenig wissenschaftliche Aktivität vorliegt – aus schulmedizinischer Sicht nicht wirklich akzeptiert war. Ich denke daher, dass das Studium sicherlich ein wichtiger Schritt ist, die Chiropraktik in dieser Hinsicht aufzuwerten, auf eine wissenschaftliche Ebene zu heben und damit die Akzeptanz zu vergrößern. Denn gerade in der klassischen Medizin ist der Begriff der Evidenzbasiertheit ein großes Argument. Schließlich gibt es bei den Medizinern – beginnend bei der Doktorarbeit bis hin zu Publikationen, um sich zu habilitieren und eventuell Hochschullehrer zu werden – einen regelrechten Zwang, sich mit Wissenschaft zu beschäftigen, zu publizieren und Vorträge zu halten. Ich wünsche mir, dass die Absolventen des Chiropraktik-Studiums so erlernte – auch wissenschaftliche – Fähigkeiten nutzen, um ihre Beobachtungen in Studien zusammenzufassen und zu publizieren. Das wird der Chiropraktik im Rahmen der klassischen Medizin sicherlich einen deutlich höheren Stellenwert einräumen.
Wie bewerten Sie als Dozent für Radiologie die Bedeutung dieser Disziplin im Kontext von Chiropraktik?
Aus meiner Sicht gibt es Situationen, in denen die radiologische Diagnostik – einschließlich Röntgen, Computertomografie und Kernspin – sicherlich dazu gehören sollte, um Befunde abzuklären, die nicht in den üblichen, zu erwartenden Ablauf hineinpassen. Auch um für den Patienten und sich selbst Sicherheit zu erlangen, halte ich eine solche Diagnostik für wichtig. Zum Beispiel, um Dinge nicht zu übersehen, die möglicherweise einer chiropraktischen Behandlung entgegensprechen oder die eine weitere medizinische Diagnostik bzw. eine andere Therapie erforderlich machen.
Zu guter Letzt noch eine übergeordnete Frage zur Chiropraktik in Europa: Wie sehen Sie die Entwicklung – speziell mit Blick auf die Richtungen vitalistische vs. mechanistische Chiropraktik?
Nach meiner persönlichen Auffassung und dem, was ich in Seminaren und Kursen gerade in den letzten zwei bis drei Jahren an Wissen mitnehmen durfte, hat ein deutlicher Trend von der mechanistischen hin zur vitalistischen Chiropraktik eingesetzt. Für mich als Schulmediziner war das am Anfang mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Allerdings hat mir das, was ich gehört und gesehen habe, und das, was ich mittlerweile an eigenen Erfahrungen im Bereich der vitalistischen Chiropraktik gemacht habe, es einfach gemacht, mich diesem Trend anzuschließen. Das ist nicht nur die vitalistische Sichtweise. Das sind für mein Empfinden auch Techniken. Sie faszinieren schlichtweg dadurch, dass sie sich im Grunde in anderen Dimensionen bewegen und man nicht mehr – um es einfach auszudrücken – auf einen bestimmten Knochen in eine bestimmte Richtung drückt, sondern etwas wie Energie und einen Impuls auf ganz andere Art und Weise in den Körper hineingeben kann und damit das Nervensystem beeinflusst. Und ich bin immer wieder fasziniert, was diese Manöver bei meinen Patienten an positiven Effekten auslösen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Walz.
Quelle/Fotograf: Prof. Dr. med. Martin Walz
Prof. Dr. med. Martin Walz, der Arzt und Chiropraktiker ist als Master-Dozent bei Chiropraktik Campus tätig.
veröffentlicht im Dezember 2018