Kai Haselmeyer, wissenschaftlicher Leiter Chiropraktik Campus

Quelle/Fotograf: Chiropraktik Campus (Kai Haselmeyer)

In den vergangenen Jahren hat hierzulande die Bereitschaft zugenommen, auch eigenes Geld für die Gesundheit in die Hand zu nehmen. So sind die Gesundheitsausgaben in Deutschland innerhalb der vergangenen 20 Jahre pro Person insgesamt um über 60 Prozent gestiegen (1). Innovative Gesundheitsdienstleistungen sind in diesem Zusammenhang zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer modernen Daseinsvorsorge geworden. Die Deutschen treffen bewusstere und individuellere Entscheidungen ihre Gesundheit betreffend und suchen dabei mehr und mehr nach ganzheitlichen Alternativen außerhalb der konventionellen Medizin. „Für die Chiropraktik in Deutschland stellt dies eine einmalige Möglichkeit der Professionalisierung im Dienste der Qualitätssicherung dar“, so Kai Haselmeyer, wissenschaftlicher Leiter des Chiropraktik Campus. Mit der Bedeutung des zweiten Gesundheitsmarktes seien aber auch die Ansprüche gewachsen. „Eine gute Technik allein reicht nicht aus. Im Sinne der Transparenz und Aufklärung sollte der Chiropraktiker auch kompetente Antworten auf Fragen nach dem Warum und der Wirksamkeit sowie der wissenschaftlichen Basis chiropraktischer Arbeit geben können.“ Um die Rolle der Chiropraktik künftig zu stärken, sei laut Haselmeyer eine kontinuierliche Anpassung chiropraktischer Erklärungsmodelle an neue wissenschaftliche Erkenntnisse unter Beibehaltung ganzheitlicher philosophischer Grundlagen notwendig.

Mittelfristiges Ziel muss sein, eine qualitativ hochwertige chiropraktische Wissenschaft in Deutschland zu etablieren, ohne dass die traditionellen Grundlagen der chiropraktischen Philosophie auf der Strecke bleiben.“ Kai Haselmeyer, wissenschaftlicher Leiter bei Chiropraktik Campus

Status Quo der chiropraktischen Wissenschaft in Deutschland

Andere Länder sind im Bereich chiropraktischer Studien laut Haselmeyer bedeutend weiter als Deutschland. „Es gibt hierzulande zwar bereits hervorragende Forschungen aus Fachgebieten wie Neurologie, Biomechanik oder Medizin. Diese Ergebnisse tangieren chiropraktische Fragestellungen aber allenfalls. Chiropraktische Wirkungszusammenhänge wurden bei uns bislang noch nicht auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau untersucht. Hier wird es Zeit, eine Lücke zu schließen. Um aussagekräftige wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen ist es wichtig, spezifisch chiropraktische Fragen zu stellen, die sich auf Gesundheit und Funktion beziehen und nicht auf konventionell medizinischen Fragen über Krankheit und deren Behandlung.“

Menschen chiropraktisch nur zu betreuen, wenn sie Beschwerden haben, ist absolut unwissenschaftlich.

Die unterschiedlichen und sich zum Teil widersprechenden Strömungen innerhalb der chiropraktischen Gemeinschaft machen qualitativ hochwertige Forschung laut Haselmeyer schwierig. Während für viele traditionell vitalistisch denkende Chiropraktiker wissenschaftliche Beweisbarkeit nur eine untergeordnete Rolle spiele, lehne eine eher klassisch-medizinisch orientierte Strömung innerhalb der Chiropraktik alles als unwissenschaftlich ab, was sich außerhalb ihres mechanistischen Gedankenmodells abspiele. „Beide Ansätze greifen aus unserer Sicht zu kurz. Die medizinische Strömung beschränkt sich oftmals auf eine reine Symptomtherapie, die den Fokus ausschließlich auf den Zusammenhang zwischen einem Schmerz und seinem Verschwinden setzt. Das ist nicht mit den Grundannahmen der Chiropraktik vereinbar und zudem nicht im Dienste der Patienten“, so Haselmeyer. So zeige jüngere Forschung z.B. klar, wie die chiropraktische Betreuung direkten Einfluss auf die Funktion des Gehirns und damit auf die allgemeine Gesundheit ausübe. Die Arbeiten auf eine reine Schmerztherapie zu reduzieren sei in diesem Sinne nicht wissenschaftlich und dazu philosophisch unlogisch. Die sogenannte „straighte“ rein vitalistische Herangehensweise dagegen stehe der Wissenschaft zu skeptisch gegenüber und ruhe sich zu sehr auf philosophischen Betrachtungen aus. „Zwar sind auch wir der Meinung, dass die Philosophie essentiell wichtig für das Verständnis dessen ist, was wir als Chiropraktiker tun. Wenn ich aber nicht mal ansatzweise aufzeigen und erklären kann, dass Chiropraktik nicht nur funktioniert, sondern auch wie sie das tut und warum, und dass die Grundannahmen der Chiropraktik eine Basis in der physischen Realität haben, dann nützt die ganze Philosophie nichts.“ Laut Haselmeyer brauche es in Deutschland daher eine Synergie aus beiden Denkmodellen: „Mittelfristiges Ziel muss sein, eine qualitativ hochwertige chiropraktische Wissenschaft in Deutschland zu etablieren, ohne dass die traditionellen Grundlagen der chiropraktischen Philosophie auf der Strecke bleiben.

Von Wissenschaft profitieren alle

Diesem Ziel hat sich auch der Fort- und Ausbildungsanbieter Chiropraktik Campus verschrieben. Mit dem Master of Science Chiropractic, den Chiropraktik Campus seit 2014 anbietet, soll die Akademisierung der Chiropraktik in Deutschland weiter vorangetrieben werden. „Ziel des Studiengangs ist nicht bloß, gutes Handwerkszeug zu vermitteln. Wir wollen die großen Fragen behandeln und beantworten, die uns täglich in unseren Praxen begegnen. Erfahrung allein reicht nicht aus, um gegen kritische Positionen argumentieren zu können. Wir brauchen handfestere Nachweise.“ Daher arbeitet Chiropraktik Campus bereits daran, eigene Studien aufzulegen. Auf Basis dieser Überlegung hat Kai Haselmeyer ein wissenschaftliches Leitbild verfasst. „Dieses Leitbild soll künftig allen Chiropraktikern Antworten auf Fragen liefern, die sich aus ihrem praktizierenden Alltag ergeben.  Darüber hinaus wird es auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Patientenkommunikation zu professionalisieren, pseudowissenschaftliche Argumente zu entkräften und Zweifler mit wissenschaftlich validen Argumenten zu überzeugen“, schließt Haselmeyer.

 

Hier wäre ein Beispiel aus dem chiropraktischen Alltag hilfreich!

(1) Statistisches Bundesamt – Statista 2015

Infokasten: Aufgaben des wissenschaftlichen Leiters bei Chiropraktik Campus

Der wissenschaftliche Leiter berät die Studenten des Masterstudiengangs in inhaltlichen Fragen rund um Chiropraktik und internationale wissenschaftliche Erkenntnisse. Seine Aufgabe besteht u.a. darin, zu wissen, welche Studien und neuen Forschungsergebnisse es derzeit gibt. Diese erstrecken sich sowohl auf den Bereich Chiropraktik als auch auf andere Fachbereiche wie der Neurologie, Biomechanik oder auch Psychoneuroimmunologie.

veröffentlicht im September 2015